Der Artikel 3,1 der spanischen Verfassung lautet: „Kastilisch ist die offizielle spanische Sprache des Staates. Alle Spanier haben die Pflicht, sie zu kennen und das Recht, sie zu nutzen.“ (Kastilisch=Spanisch) Daraus ergäbe sich, dass ein Mindestteil des Unterrichts auch in den Regionen mit Regionalsprache auf Spanisch erteilt werden muss.
Eine Befürchtung lautet, die Forderung, die Eltern sollen das Recht haben über die Unterrichtssprache für ihre Kinder zu bestimmen, sei zu radikal, wenn damit ermöglicht werde, dass Kinder in diesen Regionen kein Spanisch mehr lernen. Ein Kritiker schrieb: „Es kann nicht akzeptiert werden, dass es Schüler gibt, die ihre gesamte Schule ausschließlich auf Valencianisch, Galicisch oder Baskisch absolvieren, da mangelnde Kenntnisse der gemeinsamen Sprache Spaniens, nämlich Spanisch, den zukünftigen Fortbestand des Landes, d. h. Spaniens, gefährden“ und verweist auf oben zitierten Verfassungsartikel.
Zunächst bezieht sich die Forderung, die Eltern sollen über die Wahl der Unterrichtssprache bestimmen, auf eben die Sprache, in der die Kindern lernen sollen. Das schließt 50/50 genauso ein wie 100% in nur einer Sprache, Das schließt nicht aus, dass andere Sprachen wie Spanisch, Englisch, Französisch usw. unterrichtet werden. Die Frage bleibt, wie man mit Spanisch als „Fremd“sprache in Spanien umgeht, nicht nur angesichts der spanischen Verfassung, sondern auch angesichts der Realitäten.
Ich möchte zunächst auf die UNESCO, „die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation“ verweisen, die ziemlich gut erklärt, „warum muttersprachlicher Unterricht unerlässlich ist“.
Schulen in Katalonien lehren in Katalan, sie nennen das Immersion (Eintauchen). Ein Ergebnis kann man der jüngsten PISA-Studie entnehmen: “...die Autonome Gemeinschaft Madrid hat sich am meisten verbessert und die Gemeinschaft Kataloniens hat sich am meisten verschlechtert.“ stellt die Lehrergewerkschaft AMES fest.
Aus eigener Erfahrung möchte ich noch ergänzen. Alle meine Enkeln, die Rechnen auf Spanisch erlernten, können nicht auf Deutsch kopfrechnen. Spanier sagen Zahlen in der Reihenfolge, wie sie auch als Ziffern geschrieben erscheinen, also Vierzig und Eins, wir Deutschen machen es umgekehrt und sagen Einundvierzig. Das verwirrt, denn folgerichtig ist, zuerst die Zehner und dann die Einer zu erwähnen. Sobald wir in den Bereich der Zahl über 100 kommen, machen wir es auch auf Deutsch so, wir beginnen mit den Hunderten, Tausendern usw.
Jedem Nicht-Franzosen empfehle ich den Versuch, auf Französisch zu rechnen. 78+97 wäre Sechzig-Zehn-Acht plus Vier-Zwanzig-Zehn-Sieben. Viel Spaß! Die französischen Muttersprachler können das.
Natürlich ist es richtig, hier den Schülern mit 100% Regionalsprache als Unterrichtssprache Spanisch als 1. „Fremd“sprache obligatorisch anzubieten. Fremdsprache ist hier nicht der richtige Ausdruck, denn Spanisch ist hier nicht fremd, sondern wird in der Regel von der Mehrheit gesprochen.
Nun hat das erzwungene Erlernen einer Fremdsprache häufig den Nebeneffekt, dass das nur unwillig und unzureichend passiert. „Offiziell bis zum Ende der DDR und offiziell war es allen Schülern nach dem Mauerfall + angedeuteter Schulreform freigestellt, Russisch abzuwählen. Wieviele das für sich in Anspruch nahmen, kann ich nicht sagen.“ gibt ein Ostdeutscher auf gutefrage.net bekannt und 2022 berichtet der Spiegel:„In der DDR war Russisch noch Pflichtfach. Heute wird diese Fremdsprache an deutschen Schulen immer seltener gelernt.“ Nicht wenige „DDRler“ haben nur das unbedingt Nötigste und im übrigen alles getan, um Russisch wieder zu vergessen. Die gedanklichen Verbindung mit dem von der Sowjetunion abhängigen Regime war wohl zu groß.
Man wird also mit Recht einwenden können, dass das erzwungene Erlernen der spanischen „Fremd“sprache nicht unbedingt dazu befähigt, sich als Bürger vollinformiert demokratisch an den Entscheidungen für ganz Spanien beteiligen zu können. Ich erlaube mir die Vermutung, dass diese Uninformiertheit auch auf einen großen Teil der spanischischen Muttersprachler zutrifft, der nach Überstunden, Einkaufen und Versorgung von Kindern und Haushalt einfach keine Zeit findet und Entspannung eher außerhalb der Politik sucht.
Statt Zwang gibt es auch eine positive Methode, um das Lernen von Sprachen zu fördern: Attraktion, Anreiz oder positive Motivation.
Ich bin durch Galicien und Katalonien gereist und ich beziehe mich auf meine Heimatprovinz, das ist seit 25 Jahren Valencia. Über all finde ich nur noch Regionalsprache, auf allen Schildern und offiziellen Mitteilungen. Spanisch scheint nicht mehr zu existieren. Da ist meine Heimatstadt Jávea eine Ausnahme. Hier wird sozusagen zweisprachig beschildert. Alles was positiv ist, wie beispielsweise „Zona Verda“ für Grünzone, erscheint auf Valenciano, alles was negativ konnotiert ist wie beispielsweise ein Verbot, erscheint auf Spanisch. Für mich ist das pschylogische Verhöhnung der spanischen Muttersprachler.
Spanische Ortsnamen verschwinden nicht nur auf Ortsschildern, sondern auch in spanischsprachigen Dokumenten und web-sites. Die Organsiation „Hablamos Español“ hat das kürzlich in dem Buch „El robo de los nombres de nuestros pueblos“ (hier zu bestellen), (übersetzt: „Der Raub der Namen unserer Städte“) dokumentiert. Auf Seite 11 wird notiert, dass unter der Regierung des konservativen spanischen Präsidenten Aznar am 4. März 1998 La Coruña, eine galicische Stadt mit ca. 250.000 Einwohnern, ihrer spanischen Bezeichnung geraubt wurde. Es ist, als ob auf der Wetterkarte der Taqesschau statt München nur noch „Mùnich“ und als Wohnort im Personalausweis statt Köln nur noch „Cologne“ stehen würde.
Auch im spanischen Parlament wird nicht mehr in der gemeinsamen Sprache kommuniziert. Madrid ist nicht in der Lage ist, die Rechte der spanischen Muttersprachler in ganz Spanien zu schützen. Alberto Núñez Feijóo ist Präsident der spanischen Region Galicien. Dort herrscht ein Sprachzwang für Galicisch, der dem Sprachzwang für Katalan in Katalonien gleich kommt. Diesen sprachlichen Heuchler hat die konservative PP sogar zum Präsidentschaftskandidaten für ganz Spanien gemacht. Wen wundert es, dass diese Umstände eher zur Verachtung einer Sprache führen, wenn deren Sprecher sich intellektuell derart berauben lassen?
Dabei gibt es genügend Gründe und Möglichkeiten, Spanisch als attraktive Sprache darzustellen.
Spanisch erlaubt es Spaniern, mit den Nachbarn anderer Regionen zu kommunizieren. Die Katalanen, die auch nur mehr als drei baskische Worte verstehen, dürften an einer Hand abzuzählen sein. Statt Spanisch könne man doch Englisch nehmen, schlagen viele Separatisten vor, das sei schließlich eine Weltsprache. Nun, das ist Spanisch auch. Außer Baskisch sind alle Sprachen in Spanien lateinischen Ursprungs, also für alle leichter erlernbar und verständlich. Helfen wird auch, wenn alle Veröffentlichungen, Dokumente und Straßenschilder zweisprachig erfolgen.
Mal abgesehen, von der weltweiten Bedeutung des Spanischen. In den USA bleiben spanische Ortsnamen seit Jahrhunderten fast überall unangetastet und Musiker erzeugen mit spanischen Textzeilen in englischsprachigen Liedern Sympathie und Zuneigung zur spanischen Sprache. Was wäre für spanische Künstler mit ein wenig Unterstützung durch die Politik in Spanien möglich?
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