Nation, Staat und Pankatalanismus Ist Katalonien eine Nation? 8. März 2020
In letzter Zeit gibt es in Spanien vermehrt Debatten um die Frage, ob es eine katalanische Nation gibt. Eine Frage, die sich auch für Spanien stellt. Noch im Dezember letzten Jahres hat die PSC (katalanische PSOE = Sozialdemokraten), Spanien als Nation der Nationen bezeichnet.[1]
Die katalanischen Separatisten sprechen häufig von der Existenz einer katalanischen Nation[2], lang bevor der Begriff Nation überhaupt als politisches Subjekt existierte. Es wird Zeit, sich ein wenig mit der Frage zu beschäftigen, was die Begriffe Nation und Staat bedeuten. Noch wichtiger ist, zu verstehen, wozu diese Begriffe heute noch gut sind und gebraucht werden können oder müssen. Das soll im folgenden Aufsatz kurz versucht werden.
Nationen im Feudalismus?
Im Feudalismus, der erst mit der französischen Revolution (1789) und der amerikanischen Unabhängigkeit (1783) den Anfang seines Endes erlebte, war Nation häufig nur ein aus dem Lateinischen entnommener Begriff zur Bezeichnung von Völkern. Dem Adel war es für seine Staatenbildung völlig gleichgültig, ob er über Bayern, Bretonen, Griechen, Russen oder sonstwelchen Völkern oder Gemeinschaften herrschte. Macht und Vermögen war allein entscheidend, sonst nichts. Das Volk, überwiegend die Bauern, hatte sowieso nichts zu sagen.
Feudale Staaten
Nur 3 Beispiele zur Erinnerung:
1) Spanien: 1516 bestiegen die Habsburger mit Kaiser Karl V. (König Carlos I), also ein Österreicher, den spanischen Thron. Im spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714) verloren sie diesen Thron an die Bourbonen (Franzosen), dem auch das jetzige spanische Königshaus entstammt.
2) Groß-Britannien: Das britische Haus Windsor nennt sich erst seit dem 1. Weltkrieg so, denn es handelt sich um die Abkömmlinge des deutschen Adels von Sachsen-Coburg und Gotha. Erst 1960 gab Königin Elisabeth II bekannt, dass sie eine Mountbattan-Windsor sei, in Abwandlung des deutschen Battenberg.
3) Das „Heilige Römische Reich deutscher Nationen“ wurde erst 1804 durch Napoleon, unterstützt durch viele deutsche Truppen aus den deutschen Kleinstaaten, beendet. Der Kaiser dieses römischen Reiches (Franz II.) wurde dann Kaiser von Österreich, das selbst ein Vielvölkerstaat war.
Die Nation als linker Kampfbegriff gegen den Feudalismus
In der französischen Revolution wurde der Begriff Nation mit Staat gleichgesetzt und „Liberté, égalité, fraternité“(Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) wurde von allen Franzosen verstanden. Aber hier beginnt schon die Schwierigkeit, denn nicht alle Bewohner Frankreichs sprachen auch Französisch als Muttersprache, etwas, was die 1635 gegründete Académie française bis heute versucht, rigoros durchzusetzen. Die französische Nation bezog sich gewissermasse auf eine Einheit von Sprache, Kultur, Ethnie und Religion, die bei aller Ungenauigkeiten in der Definition als gegen den Feudalismus gerichtet begriffen wurden. Das Letztere wird besonders deutlich, weil die Revolution die Religion durch die Vernunft ersetzt sehen wollte. Sogar ein neuer Kalender wurde eingeführt.
Die Ungenauigkeiten der Gründungsbegriffe Sprache, Kultur, Ethnie und Religion
Diese Ungenauigkeiten in der Bestimmung von Sprache, Kultur, Ethnie und Religion kann man besonders gut in Deutschland beobachten. Deutsch wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz gesprochen. Deutschland ist im Norden protestantisch und im Süden katholisch, (Mittlerweile könnten die Atheisten stärker als jede andere Religionsgemeinschaft sein). Muß man bei preussischer und bayrischer Kultur eher von Unterschieden als Gemeinsamkeinten sprechen? (übrigens: Preußen war bis 1947 ein Staat innerhalb des deutschen Staates) Was die Ethnien betrifft, Deutschland ist wie fast alle europäischen Völker ein Mischvolk, in dem die Römer genauso ihre Spuren hinterlassen haben wie die Slawen im Osten, vor allem in Preußen und Sachsen.
Nation als rechter Kampfbegriff
Viele Extremrechte benutzen den Begriff Nation heute, um auszugrenzen. In Deutschland sprechen sie von Biodeutschen, vor allem um sich von Migranten aus der Türkei abzuheben. In Katalonien verhalten sich einige Separatisten ähnlich. Ich habe schon früher auf die Rassisten in der Führung der ERC (Linke Republikaner Kataloniens) inclusive des jetzigen ERC-Präsidenten Oriol Junqueras aufmerksam gemacht. Am 12.02.2020 berichtete Cronica „Die Bürgermeisterin von Vic glaubt, dass 'gebürtige Katalanen' einen andere körperliche Erscheinung haben“ [3] und kritisiert, dass man Spanisch mit den Personen spricht, die nicht katalanisch aussehen. Die Bürgermeisterin dieses katalanischen Ortes mit 46.000 Einwohnern, Ana Erra, ist Mitglied der JxCat von Puigemont und zeigt, dass der Rassismus nicht unüblich ist unter den Separatisten, ob sie sich links oder rechts nennen. Man ist bei den extremen katalanischen Separatisten verzweifelt versucht, Nation über Ethnie und Sprachzwang zur katalanischen Sprache zu definieren.
Nation und Staat
Fast alle europäischen Staaten finden in ihren Grenzen Bevölkerungsteile, die eine andere Sprache sprechen, sich kulturell unterscheiden und auch die Religion ist kein zuverlässiges Unterscheidungsmerkmal mehr. Selbst ethnische Unterschiede sind nur schwer auszumachen und der Versuch, wie es Ana Erra macht, ist zur Lächerlichkeit verdammt.
Angesichts der „Größe“ europäischer Völker ist es angebracht, sich einmal mit Geopolitik zu beschäftigen. Die USA sind das führende Imperium unserer Zeit. Diese Stellung wird ihnen von China jeden Tag mehr streitig gemacht und auch Rußland wehrt sich mehr und mehr gegen diese Vormachtstellung. Welche Rolle spielen da die ehemals mächtigen Kolonialmächte Frankreich und England noch? Höchstens als Anhängsel der USA in der NATO. Das sieht alles nicht nach friedlicher Entwicklung aus.
Ob man die Katalanen als Nation begreift oder nicht, ist sicher eine interessante Frage und für mich persönlich so wichtig, wie wer den nächsten Meister im spanischen (!) Fußball stellt, Madrid oder Barcelona. Aber das sollte politisch keine Rolle spielen, so wie es jetzt von Puigdemont gefordert wird[4]. Spanien und die autonomen Gebiete Spaniens müssen einen Modus finden, in dem sie zusammenarbeiten können. Es gibt viele Aufgaben in Spanien und in der EU, die demokratisch gestaltet werden muss, wenn sie überleben soll. Sprachzwang, Rassismus und fanatischer Separatismus halten uns nur davon ab, Europa als eigenständige Kraft zu installieren, die vermittelnd und Frieden stiftend im Konflikt der Supermächte eingreifen sollte.
Fußnoten [1] Los socialistas catalanes definirán España como “nación de naciones” (Katalanische Sozialisten werden Spanien als „Nation der Nationen“ definieren)
https://www.lavanguardia.com/politica/20191213/472197284190/psc-espana-plurinacional-cataluna-nacion-iceta.html
[2] Nur ein Beispiel: Decaració ideològica del ERC, (Ideologische Erklärung der ERC)
https://www.esquerra.cat/arxius/textosbasics/declaracio-ideologica.pdf
„Die
katalanische Nation wurde durch imperiale Politik in verschiedene Territorien unterteilt: Nordkatalonien an den französischen Staat, das Fürstentum Katalonien mit dem Ponent-Streifen, dem Land Valenciá, den Balearen und Pitiüses an den spanischen Staat und Andorra, einem eigenen Staat. Diese Aufteilung ist die Frucht von mehr als 300 Jahren Unterdrückung...“ heißt es auf Seite 19 (Hervorhebung von mir)
Man rechne die 1993 aktualisierte Erklärung 300 Jahre zurück und man landet beim französischen Sonnenkönig 1693. Der Nationalgedanke entwickelt sich aber erst mit der französischen Revolution (1789) und hat in Deutschland mit der Nationalversammlung 1848 seinen ersten Höhepunkt.
[3] La alcaldesa de Vic cree que los 'catalanes autóctonos' tienen un físico diferente
https://cronicaglobal.elespanol.com/politica/alcaldesa-vic-cree-catalanes-autoctonos-fisico_317672_102.html
[4] Puigdemont reclama a Sánchez que „reconozca Catalunya como nación“ para „avanzar“ en la mesa de diálogo
Puigdemont fordert Sánchez auf, „Katalonien als Nation anzuerkennen“, um am Dialogtisch „voranzukommen“.
https://www.elperiodico.com/es/politica/20200305/puigdemont-reclama-sanchez-catalunya-nacion-mesa-dialogo-7876565
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